Aus: Henriette Fürth
Streifzüge durch das Land eines Lebens
Autobiographie einer deutsch-jüdischen Soziologin, Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin (1861-1938)
Mit einem Vorwort von Helga Krohn
Herausgegeben von Monika Graulich, Claudius Härpfer und Gerhard Wagner
in Kooperation mit Ursula Apitzsch und Darja Klingenberg vom Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse, Goethe-Universität Frankfurt
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen,
Wiesbaden 2010
Seite 1 — 2:
„Mein Leben war, soweit ich zurückdenken kann, so vollgestopft von Erleben und Arbeit, dass ich mir das Wort Flaischlens zu Eigen machen darf:
Tiefe und Höhe von drei Leben,
in einem zu zwingen, in einem zu leben:
Ich hab’s versucht und hab’s getan,
stehe am Abstieg meiner Bahn.
S’war heißer Kampf und wenig Sieg,
und tiefe Wunden schlug der Krieg!
Aber in Wetter und wildem Sturm
flattert die stolze Standarte vom Turm.
Vom Lebensturm, den ich aufgebaut.
Auf Höhe, um die der Himmel blaut,
um die die Morgenwinde gehen
und Wald und Wand im Firnlicht steh’n.“
Seite 235 — 236:
„CÄSAR FLAISCHLEN
Eines Tages sprach ich mit Schwann über das mir unendlich sympathische Dichtwerk Flaischlens.
„Schreiben Sie ihm das doch einmal!“ –
„Das möchte ich nicht. Es sieht so zudringlich aus.“ –
„Keineswegs. Es wird ihm Freude machen.“
So tat ich’s denn. Von selbst hätte ich es nie gewagt. Mir hat meiner Lebtage nie etwas weniger gelegen, als mich an hervorragende Menschen heranzudrängen. Dazu war ich zu scheu. (Das ist häufig so bei Menschen, die nach außen hin den Eindruck großer Selbstsicherheit machen.)
Schwann behielt recht. Ich bekam auf meine Zuschrift eine sehr liebe Antwort, die der Auftakt zu einer zwar nicht übermäßig lebhaften, aber von beiden Seiten gern gepflegten Korrespondenz wurde. Sie ist mir leider darum nicht erhalten geblieben, weil Flaischlens Witwe, die uns einmal besuchte, sich die Briefe zu biographischen Zwecken erbat, sie aber trotz feierlichem Versprechen baldigster Rückgabe, nicht zurücksandte. Dagegen besitze ich die jährlichen Neujahrs-Gedichtheftchen, die Flaischlen an seine Freunde zu versenden pflegte und die so reiche Schätze dichterischer Gestaltungskraft und den Herzschlag feinen und gütigen Menschentums widerspiegeln. Auch die tief empfundene Würdigung seines Schaffens nach seinem frühen Heimgang. „Mit Herzblut“, so führte Stadtpfarrer Geißer aus Klinzelsau an seinem Grabe aus, „hat er seine Sprüche und Lieder geschrieben. Kein Wunder, dass sie auch Tausenden so zu Herzen gingen, dass solch‘ ein warmer Hauch von ihnen ausstrahlt, dass so viele, viele ihm herzlich dankbar sind für das, was er ihnen gegeben.“
Ich habe ihn auch einmal in seiner hoch gestockten Berliner Wohnung aufgesucht und dabei eine leichte Enttäuschung erfahren, die aber nicht ihm, sondern den Verhältnissen zur Last zu legen ist, unter denen so Vielbegnadete des „Volkes der Dichter und Denker“ ihr Leben hinbringen müssen. Der Dichter der „Hab‘ Sonne im Herzen“ kam mir damals müde und sozusagen verstaubt vor. Wie ein von der Zeit Vergessener. Wie freute ich mich, als spätere Jahre ihm noch die Gemeinde schufen, die sein inniges sonnensehnendes Schauen und Schaffen, verdiente.“
Link: Henriette Fürth (Wikipedia)
Link: Hessische Biografie
Link: Henriette-Fürth-Preis